China: Analyse der aktuellen Entwicklungen
Einfluss von China und US-Dollar auf den Schwellenländer-Index
Betrachtet man die Kursbewegungen der letzten Wochen so zeigt sich, dass der globale Schwellenländer-Index von MSCI Anfang Oktober sein bisheriges Jahreshoch erreichte und seither kräftig nachgab. Betrug der Wertzuwachs am 2. Oktober noch rund 21 %, so lag er zuletzt nur noch bei rund 12 %. Dieser Rückgang ist zum Teil einem seither erstarkten US-Dollar geschuldet (die Aktienkurse in lokaler Währung werden dadurch in US-Dollar weniger wert und MSCI rechnet seinen Index in US-Dollar). Zum Teil nahmen die Märkte Trumps Wahlsieg vorweg bzw. reagierten auf diesen. Ein dritter Teil der Kursrückgänge der letzten Wochen speiste sich aus einer Korrektur bei chinesischen Aktien. Etliche Marktteilnehmer:innen und Beobachter:innen zeigen sich enttäuscht von den bisher bekanntgegebenen Maßnahmen zur Unterstützung der chinesischen Wirtschaft und Finanzmärkte.
Schuldentausch in China: Auswirkungen auf Lokalregierungen und Finanzsystem
Finanziell am umfangreichsten ist ein Schuldentausch, mit dem bisherige Verbindlichkeiten der teils hoch verschuldeten Lokalregierungen in China teilweise refinanziert werden. Zum einen erhalten sie günstigeren Zinskonditionen, zum anderen werden im Zuge dessen Schulden, die bisher als „Schattenschulden“ außerhalb der offiziellen Bilanzen der lokalen Regierungen existieren, in die Bilanzen hineingenommen.
Das Programm ist für die kommenden drei bis fünf Jahre angesetzt und soll bis zu 10 Billionen Yuan (rund 840 Milliarden US-Dollar) umfassen. Zur Einordnung: Aktuell haben die Lokalregierungen außerhalb der Bilanzen rund 14 Billionen Yuan und in den Bilanzen weitere rund 52 Billionen Yuan an Schulden angehäuft. Die Maßnahme wird ihren finanziellen Handlungsspielraum zwar verbessern, da es sich aber „nur“ um einen Schuldentausch handelt, sind keine Nettozuflüsse an Kapital damit verbunden. Die Größenordnungen zeigen auch, dass nur ein recht überschaubarer Teil der Gesamtschulden von 66 Billionen Yuan betroffen ist. Die direkten Marktauswirkungen dieser Maßnahmen dürften erst einmal gering sein. Es gibt auch derzeit keinen größeren Stress im Finanzsystem Chinas.
Hilfen für Banken und Immobilienmarkt
Eine weitere geplante Maßnahme Pekings besteht darin, die sechs größten Banken mit frischem Kapital auszustatten. Es wird vermutet, dass damit die Konsolidierung im chinesischen Bankensystem vorangetrieben werden soll, denn unter Finanznot leiden nicht die großen Banken, sondern eine ganze Reihe kleinerer Institute. Auch im Bankensystem kann allerdings von Stress oder Krise derzeit keine Rede sein. Aufhorchen ließ die chinesische Notenbank Mitte Oktober mit zwei Finanzierungspaketen von zunächst rund 112 Milliarden US-Dollar, die Aktienkäufe durch bestimmte institutionelle Anleger sowie Aktienrückkäufe der Unternehmen ermöglichen sollen.
Um die seit langem schwelende Immobilienkrise zügiger zu beenden, dürfen Lokalregierungen künftig nicht verkaufte Häuser und Wohnungen aufkaufen und chinesischen Bürger:innen zur Verfügung stellen. In erster Linie soll es damit den Immobiliengesellschaften ermöglicht werden, bereits begonnene Bauprojekte fertigzustellen.
Überwiegend enttäuscht reagierten Marktteilnehmer:innen und Beobachter:innen darauf, dass es bislang entgegen weit verbreiteter Erwartungen kein neues Paket von fiskalischen Stimuli gegeben hat. Das ist umso bemerkenswerter, als die Staatsausgaben derzeit hinter den im Budget geplanten Werten deutlich zurückbleiben. Um den Fiskalimpuls nicht negativ werden zu lassen, müssten Zentral- und Provinzregierungen zumindest die bereits veranschlagten Ausgaben in den kommenden Monaten noch nachholen.
Fiskalische Zurückhaltung: Warten auf Trump?
Die meisten Analysten:innen gehen davon aus, dass sich die Führung um Xi Jinping mit Fiskalmaßnahmen bislang bewusst zurückgehalten hat, um sich einen Handlungsspielraum für mögliche Gegenmaßnahmen zu erhalten, falls Donald Trump mit neuen Sanktionen, Zöllen und anderen Handelsrestriktionen aufwartet.
Nimmt man die bisher bekanntgegebenen Maßnahmen zusammen, ist der Umfang zwar beträchtlich, doch es fließt kaum frisches Geld in das Finanzsystem und die Volkswirtschaft Chinas. Die geplanten Programme sind vor allem geldpolitischer und weniger fiskalischer Natur. Immerhin könnte aber die Immobilienwirtschaft aus ihrer langen Krise herauskommen, wenn die Lokalregierungen in größerem Umfang Immobilien aufkaufen. Mit dem Schuldentausch erhalten sie dafür zumindest etwas mehr Spielraum.
Chinas Wirtschaftspolitik: Optimismus trotz anfänglicher Enttäuschung
Die Enttäuschung bei vielen Beobachter:innen und auf den Finanzmärkten könnte gleichwohl überzogen und verfrüht sein. Denn fast noch schwerer als die bisher bekannten Maßnahmen dürfte die Tatsache wiegen, dass man in Peking jetzt offenkundig zu starkem Eingreifen und Handeln bereit ist, und dabei auch die Aktienmärkte und die Hebung ihrer Attraktivität für die Vermögensbildung der Chinesen im Fokus hat.
Sollten sich die bisherigen Maßnahmen als unzureichend erweisen, dürften wohl eher weitere folgen. Möglicherweise auch solche, die nicht nur die Angebotsseite betreffen, sondern auch die Nachfrageseite stärker adressieren. Diesbezüglich fehlt es in China ja nicht per se an Kaufkraft in der Bevölkerung, sondern es wird zu viel gespart im Vergleich zum Konsum. In gewisser Weise könnte das Chinas Moment von „whatever it takes“ sein.
Vorhersagen über die Zukunft sind bekanntlich am schwierigsten, aber es besteht eine gute Chance, dass sowohl in der Realwirtschaft als auch bei den Aktien jetzt zumindest ein Boden eingezogen wurde. Angesichts vielfach sehr günstiger Bewertungen bei chinesischen Aktien besteht einiger Grund zu Optimismus für die kommenden Jahre. Die unmittelbaren Auswirkungen der chinesischen Stimulus-Programme auf andere Schwellenländer dürften sich erst einmal gering sein. Das könnte sich ändern, wenn man auch in der Fiskalpolitik größere Schritte setzt.