Round-Table-Diskussion, moderiert durch Mag. (FH) Dieter Aigner, Geschäftsführer der Raiffeisen KAG mit den Expert:innen

  • Prof. Dr. Ing. Josef Kallo, Mitbegründer und CEO, H2Fly

  • Mag. Dr. Helmut Kühnelt, Senior Research Engineer, Electric Vehicle Technologies, AIT, Austrian Institute of Technology

  • Christian Leinweber, Senior Investment Manager, Raiffeisen KAG

  • MAIS Anna Katharina Pachinger, Supervisor und Senior Manager ESG, Austrian Airlines

Dieter Aigner: Herr Kühnelt, Sie leiten am AIT ein großes europäisches Forschungsprojekt, das sich mit dem Thema elektrisches Fliegen auseinandersetzt. Woran forschen Sie da konkret?

Helmut Kühnelt: Die Luftfahrt zu dekarbonisieren, ist aufgrund des hohen Energie- und Leistungsbedarfs ein sehr schwieriges Unterfangen. Batterien können im System die höchste elektrische Effizienz gewährleisten und sind auch eine Technologie, die recht einfach und kurzfristig implementierbar ist. Allerdings haben sie den Nachteil, dass ihre erreichbare Energiedichte noch deutlich geringer ist als die von anderen flüssigen Energieträgern, seien es Kohlenwasserstoffe oder Flüssigwasserstoff.

Aigner: Bei Batterien denken viele wahrscheinlich eher an kleinere Flugzeuge, wo sollen diese zum Einsatz kommen?

Helmut Kühnelt: Wir sehen in der Luftfahrt eine Elektrifizierungswelle, auch bei größeren Fliegern. Das heißt, die nächste und die übernächste Generation von Flugzeugen werden deutlich mehr elektrifizierte Systeme – bis hin zum Antrieb – aufweisen. Das ist der Trend. Wobei wir sehr viele Nebensysteme – sei es das Eisschutzsystem, die Klimatisierung oder die Aktuatorik, also die Stellantriebe – von nicht elektrischen auf elektrische Systeme umstellen. Um das Zurverfügungstellen von elektrischer Energie, ob das jetzt mittels Batterien oder Brennstoffzellen ist, ist eine Art Wettlauf entstanden, im positiven Sinn. Beide Technologien sind gerade in Entwicklung und werden in der einen oder anderen Form, auch gemeinsam im Flugzeug zu finden sein.

Elektrisches Fliegen ist ja bereits Realität.

Helmut Kühnelt: Ja, erste kommerzielle vollelektrische Modelle sind verfügbar, wie zum Beispiel Kleinflugzeuge von Pipistrel. Dieses Segment funktioniert bereits mit State-of-the-Art-Batterien. Aber es gibt auch Plug-in-Hybrid-Konzepte für größere Flugzeuge, die Ultrakurzstrecke rein batterieelektrisch, mit einer Gasturbine als Range-Extender, fliegen sollen. Da gibt es Start-ups, die Konzepte mit 30-Sitzern verfolgen, und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat verschiedene alternative Antriebskonzepte für Regionalflugzeuge mit 50 bis 70 Sitzen und Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge mit 250 Passagieren bezüglich ihres Potenzials zur Verringerung der Klimawirkung und der Gesamtbetriebskosten untersucht. Da schlägt sich der Batterie-Hybrid-Antrieb überraschend gut. Das scheint also ein Konzept zu sein, in dem Batterien trotz höheren Gewichts auch in Großraumflugzeugen ihre Effizienz ausspielen können.

Worum geht es in Ihrem von der EU finanzierten Forschungsprojekt?

Helmut Kühnelt: Da geht es darum, Batteriezellen selbst lasttragend zu machen und sie so in Flugzeugstrukturen zu integrieren, dass ihre Tragfähigkeit erhalten bleibt, also luftfahrttaugliche multifunktionale elektrische Energiespeicher zu entwickeln. Das haben wir in unserem ersten Projekt SOLIFLY, gefördert von Clean Aviation, das letztes Jahr abgeschlossen wurde, anhand eines multifunktionalen Panels gezeigt – eines Standardbauteils in der Luftfahrt, den wir mit 20 unserer am AIT entwickelten strukturellen Batteriezellen ausgestattet haben. Wir konnten zeigen, dass dabei die mechanische Festigkeit erhalten bleiben kann, aber das Gewicht auf Systemebene verringert werden kann, verglichen mit dem monofunktionalen Referenzpanel und einer konventionellen Batterie. Wir haben also diese Technologie in einem ersten Meilenstein in einem hochfesten, flugzeugtauglichen Bauteil dargestellt. Im aktuellen Forschungsprojekt MATISSE, gefördert vom HORIZON-EUROPE-Programm, wollen wir ein Stück weiter gehen. Wir verbessern unsere strukturelle Batterietechnologie in ihrer Energiedichte und Leistungsfähigkeit und integrieren sie mit einem Mikrochip-basierenden Messsystem, sodass wir eine „smarte strukturelle Batteriezelle“ erhalten, die sich selbst monitoren kann, und auch die Struktur, in der sie eingebettet ist. Dabei wollen wir uns nicht nur auf Kleinflugzeuge beschränken, sondern denken auch die technologische Weiterentwicklung für die Integration in Großraumflugzeuge an. Da wird es vor allem darum gehen, modulare Konzepte zu entwickeln, die leicht austauschbar sind.

Mag. Dr. Helmut Kühnelt, Senior Research Engineer, Electric Vehicle Technologies, AIT, Austrian Institute of Technology

Denn eine der offensichtlichen Fragen ist, wie eine Batterie mit einer relativ geringen Lebensdauer mit einer Flugzeugstruktur, die auf Jahrzehnte ausgelegt ist, zusammenpassen kann.

Wenn es um die Dekarbonisierung des Flugverkehrs geht, wird auch Wasserstoff als eine der wichtigen Lösungen gesehen. Am Stuttgarter Flughafen entsteht gerade ein Entwicklungszentrum für Wasserstoff-Flugzeuge, an dem u. a. auch Ihr Unternehmen H2Fly maßgeblich beteiligt ist. Worum geht es bei dem Projekt konkret?

Josef Kallo: Rein technisch betrachtet ist es möglich, Wasserstoff zusammen mit Sauerstoff aus der Luft in einer Brennstoffzelle in einem elektrochemischen Prozess in elektrische Energie umzuwandeln und diese Energie dann mit einem elektrischen Motor zu nutzen, der einen Propeller antreibt. Mit dieser Technologie kann ein wasserstoffelektrischer Antriebsstrang realisiert werden, der mit minimalen Emissionen (lediglich Wasserdampf) und höchster Effizienz mit ungefähr 40 Passagieren abheben, 600 bis 800 Kilometer in rund 30.000 Fuß Höhe fliegen und dann wieder sicher landen kann. Das ist aus rein technologischer Antriebssicht kein Problem.

"Eine langfristige Vision ist es, rund 150 Passagiere über 12.000 Kilometer mit einem wasserstoffelektrischen Antrieb emissionsfrei transportieren zu können."
Josef Kallo

Das klingt nach einem „Aber“. Wo spießt es sich?

Josef Kallo: Bei der Energie. Im Vergleich zur Batterietechnologie benötigt Wasserstoff in Brennstoffzellenanwendungen etwa das Hundertfache an Treibstoff pro Gewichtseinheit. Dies erfordert wiederum großvolumige Tanks, die viel Platz benötigen, was ein Nachteil in der Luftfahrt ist. Dieser ist – verglichen mit einem Kerosintank – volumetrisch größer, da es mehr umspülte Fläche braucht. Wenn ich also diesen Tank mit einbeziehe, dann komme ich ungefähr auf das Zwölf- bis Fünfzehnfache an Energieinhalt, der mir immer noch übrig bleibt. Das heißt, ich bezahle tatsächlich einen großen Obolus für die Wasserstoffspeicherung, aber ich komme immer noch auf das Fünfzehnfache im Vergleich zu einer Batterie. Was mich aber zuversichtlich stimmt, ist, dass wir mit elektrochemischer Umwandlung in Koppelung mit der Speicherung der vielen Energie an Bord mit einem elektrischen Wasserstoffantrieb die Grenze verschieben können. Eine langfristige Vision ist es, rund 150 Passagiere über 12.000 Kilometer mit einem wasserstoffelektrischen Antrieb emissionsfrei transportieren zu können.

Das hört sich vielversprechend an. Wie schaut es auf der wirtschaftlichen Seite aus?

Josef Kallo: Was die Wirtschaftlichkeit betrifft, sehen wir – obwohl die Technologie für Langstrecken da ist und auch die Super-Langstrecke mit 12.000 Kilometern bedient werden kann –, dass wir eine Transformation der Energiebereitstellung benötigen. Während wir Öl und Gas sehr billig aus der Erde rausholen können, müssen wir für die Umwandlung aus Erneuerbaren bezahlen. Das heißt, dass Wasserstoff ungefähr 30 Prozent teurer ist als Kerosin, das ich auf dem Markt einkaufe. Und wenn ich es mit Synthetic Fuels vergleiche, dann sind es ungefähr 40 Prozent. Was also den Treibstoff betrifft, wäre dieser zwar teurer, aber das wäre vertretbar.

Doch damit ist es nicht getan …

Josef Kallo: Nein. Denn jetzt komme ich zu den Investitionen für die Energiebereitstellung und die Technologieentwicklung. Und da besteht die Sorge, dass wir aufgrund des billigen Kerosins keinen Grund haben, in der Luftfahrt auf Wasserstoff umzusatteln. Wir bräuchten für Europa eine Investition von rund 300 Milliarden Euro, was die Infrastruktur, die Energiebereitstellung des Wasserstoffs und dann die Handhabung am Flughafen betrifft. Hinzu kommen rund 20 Milliarden für die Technologieentwicklung eines 150-Sitzers mit 12.000 Kilometer Reichweite. Für die Energiebereitstellung von E-Fuels in Europa brauche ich 800 Milliarden Euro. Doch ich sehe in den nächsten 15 Jahren keine große Chance, dass eines der beiden Projekte realisiert wird, obwohl die Technologie da ist. Mit einem Aufwand von rund 20 Milliarden ist die Technologie für ein Butter-und-Brot-Flugzeug vom Typ A320 möglich. Doch die Energiebereitstellung ist das Bottleneck. Und ehrlicherweise ist auch der Eindruck ein sehr starker, dass die Menschen das gar nicht mittragen wollen.

Prof. Dr. Ing. Josef Kallo, Mitbegründer und CEO, H2Fly
Prof. Dr. Ing. Josef Kallo, Mitbegründer und CEO, H2Fly

Sie wollen lieber billig nach Mallorca, auf die Malediven oder nach Thailand fliegen, und dabei spielt es kaum eine Rolle, ob wir Öl verbrennen oder nicht.

Wasserstoff-Flugzeuge und elektrisches Fliegen. Frau Pachinger, wie schaut die Strategie der Austrian Airlines aus, wenn es darum geht, Fliegen nachhaltiger zu machen?

Anna Katharina Pachinger: Wir sind als Tochter der Lufthansa eine Airline mit Langstreckennetz. Das heißt, wir stehen im globalen Wettbewerb. Wir leben also von dem, was wir durch den Ticketverkauf einnehmen, was Kund:innen bereit sind zu zahlen. Durch die EU-Regulatorik, die eben auch eine gewisse Investitionssicherheit für den Hochlauf von nachhaltigen Treibstoffen etc. sichern soll – die Vorgabe sind die Beimischung von 2 % E-Fuels ab 2025 –, wird Fliegen innerhalb der EU teurer werden. Das ist klar. Und das hat auch seine Berechtigung. Und es soll auch eine faire Bepreisung für CO2 geben. Als europäische Netzwerk-Airline sehen wir das Problem auf der Langstrecke, wo es keinen Direktflug gibt, beispielsweise zwischen Barcelona und Tokio. Hier müssen Passagiere umsteigen und können entscheiden, wo sie das machen: In Wien oder Frankfurt, wo die EU-Regulatorik greift und sich ein Ticket um durchschnittlich 200 Euro verteuert, oder ob sie mit einer Airline aus dem Nahen Osten oder aus der Türkei fliegen, die Tickets günstiger anbieten können. Das heißt, wir können hier nicht so weit vorpreschen, da sonst keiner mehr mit uns fliegt, weil wir im Vergleich zur Konkurrenz viel zu teuer sind. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Leute nicht mehr fliegen, sie werden einfach über andere Drehkreuze fliegen.

Dass der Flugverkehr weniger werden wird, war eine Illusion, die wir noch im Lockdown hatten, heute wissen wir, dass das Gegenteil der Fall ist.

Anna Katharina Pachinger: Ja, der Flugverkehr hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt und die Prognose geht von einer weiteren Verdoppelung bis ins Jahr 2040 aus. Auch in Europa wird der Flugverkehr wachsen. Und natürlich müssen und wollen wir als europäische Airline auch mit positivem Beispiel vorangehen. Wir haben uns auch einen Reduktionspfad bis 2030 gesetzt, der wissenschaftlich validiert ist, wobei der Fokus auf den bereits heute existierenden Technologien liegt. Das heißt, wir setzen die heute schon verfügbaren Fluggeräte so effizient wie möglich ein. Wir treiben den Hochlauf von Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF, weiter voran und wir treiben auch die Flottenmodernisierung voran. Und auch wenn die heute gängigen Antriebe verwendet werden, so reduzieren wir mit den neuen Maschinen die CO2-Emissionen um bis zu 24 Prozent.

"Unser Fokus liegt aber tatsächlich auf der Modernisierung unserer aktuellen Flotte, da diese schon sehr alt ist."
Anna Katharina Pachinger

Neben nachhaltigeren Treibstoffen gibt es noch eine Reihe anderer Maßnahmen, die das Fliegen der Zukunft nachhaltiger machen können, Stichwort Flugzeug-Beschichtungen. Was machen Sie abseits von SAF & Co?

Anna Katharina Pachinger: Auch am bestehenden Flugzeug gibt es Methoden, noch effizienter zu fliegen. Wir werden zum Beispiel im Winter unsere letzten verbleibenden Flugzeuge der Boeing-777-Flotte mit einer Folie ausstatten, die die Haut eines Haifischs imitiert. Die sogenannte Aeroshark-Technologie von unserer Konzernschwester, der Lufthansa-Technik. Sie lässt das Flugzeug um – konservativ gerechnet – ein Prozent effizienter fliegen. Was bei den Mengen, die auf so einer Langstrecke verbraucht werden, schon ganz schöne Summen sind. Im Durchschnitt fliegt ein Flugzeug zwischen 20 und 30 Jahre. Da ist es wichtig, die Flugzeuge so effizient wie möglich auszustatten. Außerdem: Unser größter Kostenblock ist der Kerosinverbrauch. Und wenn hier die Kosten steigen, hat das dramatische Auswirkungen auf unsere Wirtschaftlichkeit und auf unsere Investitionsfähigkeit. Eine effiziente, auch gewichtsreduzierte Flotte ist nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht für uns sehr wichtig.

Sind alternative Antriebe für Sie überhaupt kein Thema?

Anna Katharina Pachinger: Wir schauen uns natürlich alle Antriebsformen an und sind im Austausch mit den Herstellern. Wir können aber nur Bestellungen aufgeben für das, was schon auf dem Markt ist. Airbus ist schon sehr intensiv in Forschungsprojekte eingebunden und ist auch Partnerschaften eingegangen.

MAIS Anna Katharina Pachinger, Supervisor und Senior Manager ESG, Austrian Airlines
MAIS Anna Katharina Pachinger, Supervisor und Senior Manager ESG, Austrian Airlines

Unser Fokus liegt aber tatsächlich auf der Modernisierung unserer aktuellen Flotte, da diese schon sehr alt ist. Aber die Technologieoffenheit und auch die Zusammenarbeit mit den Herstellern sind auf jeden Fall gegeben.

Welche Möglichkeiten gibt es für Investoren, sich in der Luftverkehrsbranche verantwortungsvoll zu positionieren bzw. Nachhaltigkeit im Flugverkehr finanziell zu unterstützen?

Christian Leinweber: Solche Möglichkeiten gibt es auf breiter Front. So können Investitionen in Technologien fließen, die den CO2-Ausstoß von Flugzeugen reduzieren, wie z. B. in die Entwicklung von effizienteren Triebwerken. Die Flugzeugindustrie hat ja seit den Sechzigerjahren mit immer effizienteren Flugtriebwerken den Treibstoffverbrauch nahezu halbiert. Darüber hinaus können Investoren Projekte unterstützen, die auf die Verbesserung der Betriebsabläufe abzielen, um den Treibstoffverbrauch zu minimieren, wie z. B. optimierte Flugrouten oder verbesserte Bodenabfertigungsprozesse. Als der absolute „Hotspot“ in Sachen Kampf gegen CO2-Emissionen im Flugverkehr gilt die geflogene Kurz- und Mittelstrecke. Ein Thema, das hier bisher noch zu kurz gekommen ist. 2023 haben mehr als 80 % der weltweit 36,6 Millionen Flüge innerhalb von 2.000 Kilometern stattgefunden (Diese Zahlen umfassen keine Charterflüge, Frachtflüge und Privatjets). Diese Kurz- bis Mittelstreckenflüge verbrauchten dabei ca. 44 % des weltweit zur Verfügung stehenden Flugtreibstoffs. Ich bin deshalb überzeugt, dass die Entwicklung von umweltfreundlichen Flugzeugen durch die Nutzung von alternativen Antriebstechniken wie Wasserstoffzellen, Wasserstoffverbrennungsmotoren, batterieelektrischem Antrieb sowie die Nutzung von SAF vorangetrieben werden muss.

Welche Risiken und Chancen ergeben sich für Investoren im Bereich des nachhaltigen Flugverkehrs?

Christian Leinweber: Zu den Risiken gehören zum Beispiel technologische Unsicherheiten. So besteht unter Umständen das Risiko, dass sich Investitionen nicht auszahlen, wenn die Technologie nicht wie erwartet funktioniert oder von anderen Innovationen überholt wird. In diesem Zusammenhang erwähne ich gerne ein Beispiel aus der Unterhaltungsindustrie der 1980er-Jahre. Der große Kampf bei den Videokassettensystemen zwischen VHS und Betamax, auch bekannt geworden als „Formatkrieg“. Wer da zu früh auf ein Technologieformat, in diesem Fall auf Betamax setzte, hatte auch schon wenig später verloren. Denn wie sich nachträglich herausstellte, etablierte sich als Standard dieser Zeit die VHS-Technologie. Und wie wir heute alle wissen, bescherte der Technologiefortschritt dem VHS-System ebenfalls nur eine begrenzte Lebensdauer. DVD, Blue-ray-Discs und das heute so populäre Streaming lösten einander zügig ab.

"Unternehmen, die in Nachhaltigkeit investieren, können von einem verbesserten Markenimage profitieren, was zu einer stärkeren Kund:innenbindung und potenziell höheren Marktanteilen führen kann."
Christian Leinweber

Neue gesetzliche Rahmenbedingungen sind ebenfalls meist ein Thema für Investoren. Welche Rolle spielen sie?

Christian Leinweber: Ja, so können zum Beispiel strengere Emissionsvorschriften oder die Verpflichtung zu nachhaltigem Flugkraftstoff ab 2025 in der EU, aber auch ein strengeres Steuerregime auf Kerosin und Flugtickets zusätzliche Kosten für Fluggesellschaften, Hersteller und Konsument:innen bedeuten und somit die Rentabilität für den Investor maßgeblich beeinflussen. Im Gegensatz zu den Kraftstoffen, die auf der Straße oder der Schiene verwendet werden, ist Kerosin für den Antrieb von Flugzeugen weltweit auf allen internationalen Flügen von Steuern befreit. Dieses Privileg beruht auf dem Chicagoer Abkommen aus dem Jahr 1944 zum Wohle der noch jungen Luftfahrtindustrie sowie der nach dem Zweiten Weltkrieg erwünschten Völkerverständigung. Und zu guter Letzt bestehen natürlich auch sogenannte Marktrisiken. So kann die Nachfrage nach Flugreisen durch ein wachsendes Umweltbewusstsein (Flugscham) zu Veränderungen im Verbraucherverhalten führen, was wiederum zu einer geringeren Auslastung und weniger Profit führen könnte.

Welche Chancen ergeben sich für Investoren?

Christian Leinweber: Chancen bieten sich vor allem durch Investitionen in Unternehmen, die in der Entwicklung nachhaltiger Technologien in der Luftfahrtindustrie führend sind. Dazu zählen neben innovativen Flugzeug- und Triebwerksentwicklern selbstverständlich auch Unternehmen, die in der Logistikoptimierung und der erforderlichen nachhaltigen Fluginfrastruktur in Erscheinung treten. Der Vorteil, den diese Unternehmen zusätzlich generieren, liegt im Reputationsgewinn. Denn Unternehmen, die in Nachhaltigkeit investieren, können von einem verbesserten Markenimage profitieren, was zu einer stärkeren Kund:innenbindung und potenziell höheren Marktanteilen führen kann.

Christian Leinweber, Senior Investment Manager, Raiffeisen KAG
Christian Leinweber, Senior Investment Manager, Raiffeisen KAG

Abschließend sind es aber auch regulatorische Anreize, da viele Regierungen ein Budget an Subventionen und Steuervergünstigungen sowie andere Anreize für die Entwicklung und Implementierung nachhaltiger Technologien anbieten.

Am Ende unseres Gesprächs bieten wir noch die Gelegenheit, Anliegen, Gedanken oder Forderungen zum Thema einzubringen.

Helmut Kühnelt: Es gab einmal – vor Jahrzehnten – ein doch einigermaßen funktionierendes Nachtzugsystem, mit dem wir viele der Kurzstrecken und auch Mittelstrecken in Europa gut abdecken konnten und das heute leider nicht mehr funktioniert. Wenn man es kurzfristig und auch mittelfristig nicht schafft, Kerosin zu besteuern, dann könnte man doch zumindest den Bahnstrom auch nicht mehr besteuern. Das würde den Wettbewerb entzerren, weil es nicht verständlich ist, dass Bahntickets deutlich mehr als Flugtickets kosten. Allerdings gibt es weltweit wenig Anzeichen, dass weniger geflogen wird, teils weil Bahninfrastruktur fehlt oder verloren gegangen ist, siehe USA, aber auch, da immer mehr Personen, die noch nie geflogen sind, finanziell in die Lage kommen, dies zu tun, gerade in Asien. Wir haben in Europa eine Flugzeugindustrie, die aktuell Marktführer ist, und mit dem Green Deal und den EU-Programmen gute Voraussetzungen, die Luftfahrt klimafreundlicher zu machen.

Anna Katharina Pachinger: Wir sehen in der Kerosinsteuer im Green Deal nicht wirklich einen Hebel zur Dekarbonisierung, sondern nur eine sehr, sehr starke Wettbewerbsverzerrung. Weil sich damit die Themen Zubringerflug oder Transferpassagier noch verschlimmern werden und das auch große Auswirkungen auf den europäischen Tourismus haben wird, wenn ein Flug nach Spanien im Vergleich zu einem Flug nach Ägypten plötzlich das Dreifache kostet. Sollte es wirklich zu einer Besteuerung kommen, sollten diese Gelder auch tatsächlich der Transformation des Flugverkehrs zugutekommen. Derzeit ist es so, dass die Gelder, die aus dem Zertifikatehandel reinkommen, zu 100 % in den Brenner Basistunnel fließen. Das ist auch gut, aber wir finden, dass diese Gelder für die Transformation des Flugverkehrs verwendet werden sollten.

Josef Kallo: Um die großen ökologischen Herausforderungen im Flugverkehr zu meistern, braucht es eine neue Denkweise in der Steuerpolitik. Wenn es uns nicht gelingt, das private Kapital, das in Deutschland, in Europa vorhanden ist, zu aktivieren, indem man steuertechnisch Risiken auf die Allgemeinheit abwälzt – und mir ist bewusst, was ich hier sage –, dann werden wir nicht die großen Kapitalmengen aufstellen können, die wir benötigen, um die Transformation in den nächsten 10, 15 oder 20 Jahren zu schaffen, sondern dann wird diese Transformation nach unserer Fahrweise und nach unserer Geschwindigkeit 50 oder noch mehr Jahre dauern. Die Länder im Nahen Osten bauen gerade Flugzeugflotten auf und locken Wertschöpfungsketten und Zulieferer dorthin. Wir werden so auch keine Transformation schaffen, die von uns ausgeht, die wir steuern und die wir mit Normen und Regularien vorantreiben. Das ist ein Kapital, eine Speerspitze, die wir stark vernachlässigen, weil wir es in Europa nicht schaffen, im Zig- und Hundert-Milliarden-Bereich Geld für bestimmte Themen zu aktivieren.

Dieser Inhalt ist nur für institutionelle Anlegerinnen und Anleger vorgesehen.

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