„Frühzeitig Pflöcke einschlagen“
Round-Table-Diskussion unter der Moderation durch Mag. (FH) Dieter Aigner, Geschäftsführer Raiffeisen KAG sowie den Expert:innen
Dipl.-Ing. Marc Guido Höhne, Geschäftsführer der Delta Projektconsult Wien
Johann Marchner, Geschäftsführer Wienerberger Österreich
Dipl.-Ing. Dr. Karin Stieldorf, Technische Universität Wien, Institut für Hochbau
Mag. Alexander Toth, Raiffeisen KAG
Über viele Jahrzehnte bestimmten Geschwindigkeit, Profit und Effizienz die Bauwirtschaft. Verlagert sich dieser Fokus nun hin zu ESG?
Marc Höhne: Das Thema, das uns derzeit alle am meisten umtreibt – sicherlich auch durch den Krieg und die dadurch ausgelöste Energiekrise –, ist das Thema Energie. Dabei geht es insbesondere um die Reduzierung des Primärenergiebedarfs u. a. durch einen höheren Einsatz von erneuerbaren Energien. Damit verbunden natürlich auch, weil sonst wird es nichts bringen, eine wesentlich höhere Energieeffizienz von Gebäuden. Im Neubau ist das nicht die große Herausforderung, da ist das lösbar, aber im Altbestand sind große Schwierigkeiten zu bewältigen. Und wenn wir von Energiegewinnung sprechen, ist das der Einsatz von Geothermie und Photovoltaik. Aber im Altbestand gibt es da eben sehr, sehr eingegrenzte Möglichkeiten, wenn wir vom innerstädtischen Bereich sprechen. Da haben wir es mit sehr reduzierten Dachflächen und Grundstücken zu tun. Wie geht man also damit um? Viele unserer Auftraggeber, das sehen wir halt auch, glauben, sie brauchen nur auf einer Checkliste von 10 Punkten 5 ankreuzen und dann haben sie das Thema erledigt. Wenn es so einfach wäre, dann würden wir uns nicht alle ständig den Kopf zerbrechen. Am Ende ist es, unserer Erfahrung nach, eine Kombination unterschiedlichster Maßnahmen, die zum Erfolg führt. Und das ist bei jedem Projekt vielleicht eine ähnliche, aber nie wirklich die gleiche Lösung. Es muss zudem jedes Mal sehr viel Energie aufgewendet werden, die wirklichen richtigen Lösungen auch im richtigen Kosten-Nutzen-Verhältnis zu finden.
Sind Ihre Auftraggeber offen, für mehr Nachhaltigkeit bei ihren Bauprojekten?
Marc Höhne: Leider muss ich sagen, dass es da noch sehr wenig Verständnis dafür gibt, dass das so aufwendig ist. Und jetzt, wo die Energiepreise wieder gesunken sind, wird auch langfristig infrage gestellt, ob die getroffenen Maßnahmen die richtige Lösung sind. Insbesondere, wenn ich mit Industriekunden spreche, und wir eine Abschreibungszeit von mehr als vier Jahren haben, dann ist das Thema sowieso schon passé. Dann wird nicht mehr weiter darüber diskutiert; und auch wenn Immobilien im Industriebereich eine große Rolle spielen, dann liegt der Schwerpunkt halt doch oft auf dem Kerngeschäft und die Immobilie ist sekundär. Natürlich gibt es bei den Immobilienbestandshaltern sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Die großen Institutionellen haben das Thema seit drei, vier Jahren auf dem Radar. Sie sind gut vorbereitet und wissen zumindest ansatzweise, wo sie hinwollen, was wichtig ist. Ich sehe aber auch viele gemeinnützige Wohnbauträger, Entwickler, die noch ganz am Anfang stehen und die sich noch überhaupt keine Strategie zurechtgelegt haben, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Sie fischen noch im Trüben. Aus unserer Sicht ist es derzeit extrem wichtig hier Sensibilisierungsarbeit zu leisten, um Kriterien und auch Wege aufzuzeigen, wie sie sich in Richtung Nachhaltigkeit bewegen können. Sie sind teilweise von der Vielzahl der Möglichkeiten erschlagen. Meist ist es leider so, dass wenn sie keine Strategie haben, sich erstmal auf das stützen, was ihrer Meinung nach am schlechtesten ist. Anstatt genau das Gegenteil zu machen, nämlich das, was am leichtesten umzusetzen ist. Wo sie mit gezielten kleinen Eingriffen den größten Effekt erwirken können. Da fehlt teilweise eben auch die Anleitung, mit dem Thema Nachhaltigkeit umzugehen beziehungsweise, den Horizont zu erweitern.
Frau Stieldorf, Sie leiten den Lehrgang „Nachhaltiges Bauen“ an der TU Wien. Wie erleben Sie diesen Paradigmenwechsel, sofern es einer ist, und wo hapert es noch?
Karin Stieldorf: Der Lehrgang bietet einen sehr guten Einblick in die Materie. In letzter Zeit hat sich da eine Veränderung ergeben, die ganz spannend ist. Primär stand ein Nachrüsten zu dem eigenen Wissen im Fokus der Teilnehmenden. Inzwischen haben Akademiker:innen und Architekt:innen, und im Umgang mit ihren Bauherren sicherer werden wollen. Sie wollen in der Diskussion nicht schwimmen, sondern fundiert argumentieren können. Das finde ich vom Prinzip her eine wunderbare Basis. Aus meiner Sicht ist es ganz, ganz wichtig, die Kriterien des nachhaltigen Bauens zusammenzudenken – das heißt, dass man nicht sagt, ich habe jetzt meinen Fokus und du hast deinen Fokus. Das war früher ja ganz klassisch. Der Architekt hat ein Gebäude entworfen und dann hat er gesagt so, und jetzt gebe ich das dem Statiker, und das gebe ich dem Bautechniker und das gebe ich dem Bauphysiker und die sollen sich dann drum kümmern, ob das Gebäude funktioniert oder nicht. So funktioniert es aber einfach nicht mehr. Ich muss schon bei der Planung so viel wissen, dass das Projekt in die richtige Richtung geht und nicht zum Schluss verworfen werden muss. Vernetztes Denken ist ein ganz wichtiges Ziel geworden. Und zwar geht das – weil Bauen eben sehr breitgefächert ist – von der Regionalplanung über die städtebaulichen Aspekte bis hin zum Detail, wo ich mir dann überlege, welche Baustoffe eingesetzt werden sollen. Aber letztlich steht schon am Beginn des Planens die Entscheidung, ob ich mit Holz, Beton, Stroh, anderen nachwachsenden Rohstoffen oder mit Ziegeln baue. Jeder Baustoff hat seine Berechtigung, wenn er am richtigen Ort richtig eingesetzt wird und dort die beste Lösung ist. Das vernetzte Denken vom großen bis zum ganz kleinen Maßstab ist wichtig. Aber auch der Standort ist für die richtige Lösung entscheidend: regional, topographisch und geographisch.
Werden Holz, Lehm und Stroh in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen?
Karin Stieldorf: Wir beschäftigen uns unter anderem mit dem Bau und der Sanierung von historischem Lehmbau. Aber Dinge verändern sich und wenn der Einsatz von Lehm wirtschaftlich Erfolg haben soll, wird dieser in der Zukunft anders erfolgen müssen. Da braucht es sicher einen neuen Zugang, wie die Fertigung erfolgt. Unter Umständen auch, wie die Verbindung mit Dämmstoffen aussieht. Der klassische Dämmstoff im Lehmbau war ja Stroh, aber die Mischung aus Stroh und Lehm, kann ich mir für die Zukunft im Neubau so nicht mehr vorstellen. Man könnte allerdings Strohmatten verwenden, die auch als Dämmstoff gut einsetzbar sind. Es gibt noch viel Forschungsbedarf, um Lehmbau wirtschaftlich und ökologisch erfolgreich zu machen und damit er letztlich auch angenommen wird. Auch gestalterisch muss noch einiges passieren. Und natürlich müssen die Menschen sensibilisiert werden, damit sie Häuser aus Lehm auch annehmen.
Herr Marchner, als Geschäftsführer des Weltmarktführers Wienerberger – Gebäude aus Lehm, was halten Sie davon?
Johann Marchner: Mir ist sehr wichtig festzustellen, dass wir alles haben, was wir für nachhaltiges Bauen brauchen. Wir müssen grundsätzlich nichts mehr erfinden. Wir müssen nur definieren, welchen Anspruch wir an Gebäude und deren Nutzung haben. Wenn wir uns für Lehmbau entscheiden, dann müssen wir eben hinnehmen, dass bestimmte Anwendungen bzw. Ansprüche nicht mehr möglich sein werden. Man wird beispielsweise bei einer normalen Wandstärke eben keinen Küchenkasten mehr aufhängen können. Wir müssen uns klar werden, was wir von den einzelnen Baukörpern erwarten. Das hat einzig und allein damit zu tun, dass wir immer versuchen, jedes Gebäude von Beginn an individuell neu zu planen. Schaut man sich die Automobilindustrie an, dann verwendet diese heute Plattformen und baut aus diesen Plattformen Variationen, tausende Variationen auf einer bestimmten Plattform. Wir versuchen aber, jedes Gebäude immer wieder neu zu erfinden. Das treibt den Aufwand und die Kosten.
Mit welchen Strategien machen Sie Ihr Produkt für eine nachhaltige Bauwirtschaft zukunftsfit?
Johann Marchner: Was uns sehr stark antreibt, ist das Thema Nachhaltigkeit. Dazu zählt nicht zuletzt das Thema Energie und das Thema CO2. Wenngleich ich sagen muss, dass wir bis zum heutigen Tag kein Versorgungsproblem und auch kein Energiekostenproblem hatten, weil wir über langfristige Verträge verfügen und die Ausschläge so nicht bei uns ankommen. Aber klar ist, dass bei der Ziegelproduktion nach wie vor Kohlendioxid emittiert wird, weil wir auf der einen Seite fossiles Gas verwenden und weil es auf der anderen Seite der Ton als Rohstoff, zum Beispiel Dolomit oder Carbonate, enthält. Allerdings, wenn ich mir die Ringstraße in Wien ansehe, dann ist der Beweis erbracht, dass Ziegelgebäude 100, 150 und sogar 200 Jahre halten und somit schon aufgrund der Lebens- und Nutzungsdauer nachhaltig sind. Und wenn Sie heute die Energiewerte eines alten Ziegelgebäudes mit einem baugleichen Baukörper in moderner Bauweise vergleichen, dann schlägt das alte Gebäude oftmals das neue deutlich in Hinblick auf die Energieeffizienz. Wenn wir nicht versuchen, Dinge, die die Bauphysik vorgibt, zu verbiegen, dann haben wir alles, was wir brauchen, um nachhaltig zu bauen. Und natürlich ist das auch eine Frage der Transparenz. Wir ökologisieren zwar den Baustoff Holz, hinterfragen aber nicht, wo er herkommt. Also bitte Ross und Reiter nennen.
Wie ökologisieren Sie den Baustoff Ziegel?
Johann Marchner: Wir bauen in Uttendorf gerade das weltweit erste CO2-freie Ziegelwerk, das nicht mehr mit fossilem Gas betrieben wird, sondern vollständig mit Ökostrom. Das Werk ist bereits in Bau. In Zukunft wird es also einen Ziegel geben, der so gut wie keinen CO2-Fußabdruck bei der Produktion hat. Ich kann nur unterstreichen, was auch Frau Stieldorf gesagt hat: Es geht darum, gemeinsam zu arbeiten, und zwar mit offenem Visier, dass wir gemeinsam etwas erreichen und nicht am Menschen vorbeiplanen. Unser aller Aufgabe ist es, erstens mit Zahlen, Daten und Fakten transparent umzugehen und zweitens den Lebenszyklus des Gebäudes in den Mittelpunkt zu stellen. Das Thema Nachhaltigkeit ist für uns gelebte Praxis. Wir produzieren seit Jahrzehnten rein mit Ökostrom. Wir renaturieren unsere Steinbrüche beziehungsweise Tonvorkommen. Nicht nur anhand der gesetzlichen Vorgaben, sondern auch weil uns das Thema Biodiversität ein sehr wichtiges Anliegen ist. Und natürlich geht es auch darum, überhaupt möglichst wenig Rohstoff einzusetzen und diesen möglichst energieeffizient zu brennen. Bereits seit Jahren nutzen viele Unternehmen Ziegel in Baurestmassen als wertvolle Rohstoffquelle. Außerdem produzieren wir lokal, unsere Wertschöpfung ist lokal, es bestehen kurze Transportwege und wenn wir es jetzt auch noch schaffen, den Produktionsprozess weiter zu dekarbonisieren, dann wette ich heute, dass Ziegel beim ökologischen Fußabdruck praktisch alle Werkstoffe um Längen schlagen kann.
Wie stellt sich das Thema aus Investorensicht dar?
Alexander Toth: Schaut man sich den Anteil der Baubranche am globalen CO2-Abdruck an, dann macht der Zement rund 8 % aus (siehe: Bauwirtschaft im Wandel). Das ist sehr viel. Wir interessieren uns natürlich dafür, welche Innovationen hier helfen könnten, diesen Anteil zu reduzieren, und welche technischen Möglichkeiten es gibt, um die Transformation der Branche voranzutreiben. Und das sind dann ganz viele kleine Bausteine. Technik spielt eine große Rolle. Was die Baustoffe betrifft, so ist im Bereich Zement und Klinkerherstellung schon sehr viel passiert. Die Produktion ist schon viel nachhaltiger möglich, und ein Teil lässt sich substituieren. Aber wenn es um Substitution geht, dann sind wir schnell beim Thema Regulator, der für bestimmte Nutzungen nur entsprechende Qualitäten zulässt. Wenn ich dann verschiedene Chargen von Beton und Fertigbeton bekomme, ist der praktische Einsatz oft schwierig bis unmöglich.
Investment Zukunft
Für Investor:innen, die tiefer in die Materie verantwortungsvolles Investment eintauchen wollen.
Welche innovativen Entwicklungen spielen hier eine Rolle?
Alexander Toth: Die große Lösung, die derzeit im Raum steht, zielt auf Net Zero bis 2050 ab. Das bedeutet, dass nicht vermeidbare CO2-Emissionen anders verwendet oder aus der Luft geholt werden müssen. Carbon Capture könnte dann ein großes Thema werden, in das bereits jetzt extrem viel Kapital fließt. Wünschenswert wäre, dass Zement nur dort eingesetzt wird, wo er notwendig ist, bei bestimmten Bauprojekten wie Flusskraftwerken oder bei anderen speziellen Bauanwendungen. Etwaige zukünftige Alternativen zum Zement sind dann natürlich für Investoren interessant. Auch das Thema Energie ist von großem Interesse. Denn ein großer Teil der Energieressourcen in Europa wird in Gebäude gepumpt, und das ließe sich deutlich senken, beispielsweise mit Rekuperation. Auch der Wasserverbrauch ließe sich zurückfahren. Gebäudetechnik ist auf der Investmentseite ein großes Thema. Ebenso die Smart City: Wie können Transportwege verkürzt werden, und wie lässt sich mit Ressourcen optimaler umgehen? – Überall steht Entwicklung und Innovation dahinter. Unser Fokus liegt immer dort, wo etwas messbar ist. Und nicht alles lässt sich hier quantitativ messen, hier braucht es die qualitative Bewertung der Expert:innen aus der Branche. Wir orientieren uns am Datenmaterial, das wir zu den Unternehmen verfügbar haben, und an den Antworten, die wir im Rahmen unserer Engagements im direkten Dialog mit den Unternehmen bekommen.
Sanierung schlägt bei Nachhaltigkeit Neubau, ist das so?
Marc Höhne: Es wird immer Neubau geben. Da bin ich mir sicher. Aber viel entscheidender ist: Wir müssen unsere Sanierungsquote von derzeit 1 % wirklich deutlich steigern. Wir müssen auf 3–4 % kommen, sonst werden wir die von der EU gesteckten Klimaziele nicht ansatzweise erreichen, denn viele unserer Bestandsbauten sind einfach große Energieschleudern. Was den Neubau betrifft, ist die Ressourcenschonung entscheidend, insbesondere dass wir die Standortwahl ganz anders priorisieren, als wir das bisher tun. Hier wird einfach noch viel zu viel verkehrt gemacht, auch was die Widmungen betrifft. Ich finde es traurig, dass die Stadt Wien in Rothneusiedl wirklich fruchtbarstes Ackerland zu Baugrund macht. Die Nutzung weiterer Brown Fields in Wien und Umgebung wäre hier alternativ zu bevorzugen. Was für mich entscheidend ist, und das bringt mich zur Investorensicht: Brown Field sollte immer vor Green Field stehen. Green Field kann nur dann eine Option sein, wenn bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sind, wie zum Beispiel tote Böden, die nicht mehr nutzbar sind. Jeder Quadratmeter, der versiegelt wird, ist ein Quadratmeter zu viel.
Welche Rolle spielt Kreislaufwirtschaft in der Baubranche?
Marc Höhne: Ich widme mich dem Thema Kreislaufwirtschaft nun schon seit mehr als acht Jahren. Leider sind wir diesbezüglich wirklich noch ganz am Anfang. Umgerechnet auf 100 Kilometer Strecke haben wir vielleicht fünf Kilometer geschafft, maximal. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Stakeholder in der Bauindustrie bei der Herstellung ihrer Baustoffe und Elemente noch nicht genügend miteinander zusammenarbeiten, sondern vielfach in ihren eigenen Nischen unterwegs sind. Da braucht es noch viel mehr Austausch untereinander. Worum geht es bei der Kreislaufwirtschaft am Ende? Wir wollen Materialien wiederverwenden, aber nicht in einem Downcycling-Prozess, dass ich zum Beispiel Beton nach dem Abbruch schreddere und dann als Tragschicht im Infrastrukturbau wiederverwende. Hier geht es darum, das Element, den Baustoff in einer Art und Weise des Upcyclings wiederzuverwenden, wie er vorher schon da war. Und davon gibt es zurzeit viel zu wenig. Es gibt gute Ansätze, aber meines Erachtens viel zu wenig Austausch unter den Beteiligten, beziehungsweise wenn wir unseren Auftraggebern nahelegen, über standardisierte und modularisierte Technik nachzudenken, sind viele nicht bereit, den Mehraufwand in der Planungsphase zu bezahlen und/oder hier als First Mover Entwicklungsarbeit zu leisten.
Wie könnte man diesen Austausch verbessern bzw. überhaupt initiieren?
Marc Höhne: Es muss hier einfach Foren geben, wo sich die unterschiedlichsten Stakeholder austauschen. Und es müsste auch der Gesetzgeber dabei sein. Denn viele Themen der Kreislaufwirtschaft sind zwar gut gedacht, aber lassen sich gesetzlich gar nicht umsetzen. Wenn ich heute eine Dämmplatte von einem Bestandsbau wiederverwenden möchte, dann darf ich das teilweise nicht, sondern ich bin gezwungen, die Platte zu entsorgen. Die betroffenen Interessengruppen müssen miteinander reden und hier muss auch der Änderungsbedarf erkannt werden. Das geht bis tief in das Normenwerk hinein. Wenn wir uns an den heutigen Normen und Auslegungen orientieren, dann sind viele unserer Häuser einfach überdimensioniert, was die Technik betrifft. Hier müssen wir ganz klar zurückfahren. Wir brauchen bei der Auslegung technischer Anlagen gegebenenfalls nur 40–50 % gegenüber der Norm, um sie wirtschaftlich betreiben zu können. Hier spielen also unterschiedlichste Faktoren mit hinein, die alle parallel angegangen werden müssen.
Frau Stieldorf, ich nehme an, Sie schließen sich dem inhaltlich an?
Karin Stieldorf: Ja. Was mir bei diesen Überlegungen aber noch fehlt, ist das Klima. Wenn wir uns ansehen, welche Baustoffe wo verwendet werden, dann haben wir in Westösterreich deutlich mehr Holz im Einsatz. Das ist auch berechtigt, denn je weiter oben ich mich befinde, desto weniger Probleme habe ich mit der Sommertauglichkeit. Im Osten Österreichs hat Holz weniger Tradition im Bauen und ich brauche hier einfach mehr Masse, um Gebäude sommertauglich zu machen. Wir haben dazu umfangreich geforscht und Lösungen erarbeitet. Ein Beispiel, das mir für den mehrgeschossigen Wohnbau besonders gut gefällt, ist das Raumregal. Vom Konzept her ist das ein Skelettbau mit Betondecken, die weit spannbar sind und auch aktiviert werden können. Das ist ein großer Vorteil. Ich könnte auch recycelten Beton dafür verwenden. Damit habe ich eine tragende Struktur, die sehr langlebig ist, und kann dann das, was rundherum ist, und alles, was dazwischen ist, außen und innen, an die Anforderungen des jeweiligen Klimas oder den jeweiligen lokalen Charakteristika entsprechend anpassen. Ich kann zwischen der tragenden Struktur mit Holz arbeiten, ich kann dort im Selbstbau gestalten und ich kann, selbstverständlich, auch Ziegel einsetzen. Im Ergebnis habe ich eine langfristig tragende Struktur, die mit flexibleren, früher austauschbaren Elementen umgeben ist. Das ist definitiv ein nachhaltiges Konzept.
„In Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft werden wir der Wahl und dem Management der Baustoffe noch sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.“
Welche Rolle spielt die Kreislaufwirtschaft bei Wienerberger?
Johann Marchner: Lange Zeit hat man beim Bauen nur Stein auf Stein geschlichtet. Wir haben jetzt aber mittlerweile fünf Ziegelfertigteilwerke in Österreich, um es den Menschen auf der Baustelle leichter zu machen und Zeit zu sparen. Es gibt aber neben Ziegel keinen Baustoff – und ich denke, dass ich ziemlich alle kenne –, der für sich allein stehen kann. Wienerberger baut derzeit am Rosenhügel das Projekt Wildgarten mit acht Stockwerken. Wir bauen monolithisch, das heißt ein reines Ziegelmauerwerk. Das ist voll rückbaubar am Ende des Lebenszyklus. Der Bauherr – ein bekannter großer Bauträger – baut das so, weil er es im Eigentum behält. Und er weiß, warum er das macht, weil bei diesem Gebäude deutlich geringere Erhaltungskosten anfallen werden, zumindest im Bereich des Mauerwerks. Das sind aber genau die Dinge, die zeigen, dass wir nichts neu erfinden müssen, es gilt nur, alle Beteiligten zusammenzubringen, um nachhaltiges Bauen wirklich stärker ins Leben zu rufen.
In der Seestadt bauen wir aktuell ein Objekt nach einem zehn Jahre alten Prinzip von Baumschlager Eberle, den ROBIN. Das Haus ist praktisch ohne Heizung und Kühlung. Ja, das Haus hat eine zweischalige massive Mauer – 2 x 38er-Ziegel. Nach vielen Jahren Erfahrung aus der Praxis kann ich aber sagen: Das funktioniert. Was macht das Konzept so erfolgreich? Man nutzt normale bauphysikalische Effekte, wie beispielsweise eine tiefe Fensterlaibung, die zu einer natürlichen Beschattung führt, und nutzt zudem die natürliche Speichermasse des Ziegels.
Welche Möglichkeiten bietet die Kreislaufwirtschaft an den Kapitalmärkten?
Alexander Toth: Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass man das Gebäude am Lebensende wieder sortenrein und schadstofffrei komplett in Einzelteile zerlegen und diese Teile dann wieder nehmen und neu mit ihnen bauen kann. Da spielen aus Investorensicht ganz viele Themen mit hinein, die schwierig sind: angefangen beim Ziegel, den ich dann – aus regulatorischen Gründen – nicht neuerlich benutzen darf, bis zu den Deckenelementen, die gegossen sind und sich nicht trennen lassen. Auch Altlasten sind ein Riesenthema, wenn man beispielsweise an die Dämmwolle von vor 1996 denkt – vor der Regulierung. Das hat nichts mehr mit der Dämmwolle von heute zu tun, die direkt in den Ziegeln eingesetzt wird. Manche Firmen sind hier sehr weit. Unsere Haltung ist, alte Gebäude, wo technisch möglich, so lange wie möglich zu nutzen. Denn auch wenn ich ein Gebäude ausweiden und wieder umbauen muss, weil ich vielleicht ein Bürogebäude habe und Wohnraum will, ist das in Hinblick auf Emissionen und ökologischen Fußabdruck deutlich besser – idealerweise verbunden mit moderner Technik für die Wärmerückgewinnung und Lüftung. Natürlich geht es uns auch um den möglichst sparsamen Einsatz von Rohstoffen.
Gibt es abschließend noch Appelle, Wünsche, Bemerkungen?
Johann Marchner: Mein Appell geht an die Politik: Bitte hört auf, bestimmte Baustoffe auch ideologisch bis zum Tode zu fördern. Wenn wir Holz wollen, dann bitte österreichisches Holz, aus nachhaltiger Holzwirtschaft. Und das transparent über einen Herkunftsnachweis sichergestellt.
Karin Stieldorf: In Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft werden wir der Wahl und dem Management der Baustoffe noch sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Sie ist ein neuer Teil im Planungsprozess, der in Verbindung mit den anderen Parametern der Nachhaltigkeit steht. Das heißt, es wird zunehmend wichtig, welche Baustoffe man wählt, welche Eigenschaften diese haben und wie deren Lebenszyklus ausschaut. Damit ergibt sich vielleicht auch eine neue Formensprache, was nicht nur möglich, sondern durchaus erwünscht sein kann. Jedenfalls muss man mit Baustoffen in Zukunft anders und überlegt umgehen. Ich glaube, dass Building Information Modelling hier eine große Chance bietet, weil man im Planungsprozess den einzelnen Baustoffen entsprechende Eigenschaften mitgeben kann. Das könnte dazu führen, dass man besser miteinander arbeiten und sich digital auch besser vernetzen kann. Ich glaube, dass es neue Produktionsformen geben wird – vielleicht nicht im Ziegelbau, aber in anderen Bereichen. Da sehe ich eben Chancen für Lehm, Stroh und andere nachwachsende Rohstoffe in spezifischen Projekten.
Marc Höhne: Man meint immer, Nachhaltigkeit und Architektur würden zwangsläufig miteinander kombiniert sein. Doch das ist leider nicht so. Es wird besser, und insbesondere die junge Generation an Architekten und Architektinnen brennt für das Thema Nachhaltigkeit. Sie ist aber auch mit einer großen Frustration konfrontiert, denn bei 90 % aller Projekte, die gemacht werden, fällt oftmals die Nachhaltigkeit der Wirtschaftlichkeit zum Opfer. Damit das nicht passiert, muss Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankert sein und muss von hier auf die Projektebene weiterentwickelt werden, um sie letztendlich in alle wesentlichen Prozesse implementieren zu können. Das bedeutet dann auch, frühzeitig Pflöcke einzuschlagen, die man hinterher nur noch schwer versetzen kann.